Die Macht des Mitfühlens – Arno Gruen, Psychoanalytiker

Arno Gruens Plädoyer für mehr Empathie Mitgefühl und Empathie sind Begriffe, die die Debatten um die Zukunft der Menschheit bestimmen. „Ohne Empathie keine Demokratie“, sagt Arno Gruen. Der große alte Mann der Psychoanalyse aus Zürich, ein unerbittlicher Zivilisationskritiker, rückt die Gefühle wieder ins Zentrum des Bewusstseins. Gerade ist Gruen 90 Jahre alt geworden und liefert mit seinem neuen Buch „Dem Leben entfremdet“ Sprengstoff für kaum noch hinterfragte Denkmuster. Was ist das, worin wir uns bewegen? Wirklichkeit? Erfassen lässt sich die Welt nicht über Augen oder Verstand. Um zu verstehen, was in ihr wirkt, braucht es Empathie, Einfühlungsvermögen.

Seit Ende der 1970er Jahre ist Zürich die Wahlheimat des Psychoanalytikers Arno Gruen. In Berlin wurde er als Sohn jüdischer Eltern geboren, 1936 emigrierte er in die USA. Er ist ein Zivilisationskritiker, ein Außenseiter und unermüdlicher Mahner. Empathie, Mitgefühl, ist sein Lebensthema. Arno Gruen lenkt das egozentrische Denken in die Richtung einer empathisch geprägten Weltsicht. Sein Werk „Dem Leben entfremdet. Warum wir wieder lernen müssen zu empfinden“ ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Empathie – pur, radikal und irgendwie zärtlich.

Angeborene Empathie geht verloren Der Mensch ist von Anfang an gut. „Jeder Mensch ist sein eigener Gott“, sagt Arno Gruen. Empathie ist eine angeborene Fähigkeit. Liebe und Wärme braucht es, um sie zu erhalten. Aber bei uns im Westen drängen wir das Empathische systematisch zurück, machen die Kinder zu funktionierenden Rädchen eines Systems. „Wir leben in dieser Kultur, die mit Wettbewerb zu tun hat“, sagt Gruen. „Da erleben wir auch Kinder, als ob sie uns etwas aufsetzen möchten. Der Wettbewerb existiert da schon. Wenn sie schreien, müssen wir ihren Willen in den Griff kriegen – und wir lassen sie schreien. Es gibt viele Kulturen, in denen die Kinder nie schreien.“ Die natürlich angeborene Empathie geht durch kulturelle Einflüsse in den ersten Jahren verloren. Gruen wirft ein neues Licht auf die kaum mehr hinterfragten Grundprinzipien dieser Kultur.

Die Welt, in der wir leben, ist bestimmt von Kampf, Wettbewerb, Profit und Isolation. Aber nicht Kampf und Konkurrenz sind die Triebkräfte unserer Existenz. „Dass wir uns als Menschen entwickelten, kam zustande durch Kooperation, nicht durch Wettbewerb“, so Gruen. „Es kam dadurch zustande, dass Menschen sich einander geholfen haben – nicht dadurch, dass der Stärkere, den Nicht-Starken unterdrückte.“ Empathie ist nicht nur die Grundvoraussetzung für seelische Gesundheit, sondern auch für Demokratie. Die Welt aus der Sicht eines anderen zu sehen – das haben wir verlernt, das macht uns krank. Doch es formieren sich neue soziale Bewegungen. Die Kritik an der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich wächst. Empathie hat politische Dimensionen.

„Gehorsam engt uns ein“ Nach Gruen leben wir in einer durchkonstruierten Welt – unfähig, mitfühlend die Wirklichkeit wahrzunehmen. „Freiwillige Knechtschaft“ wurde das auch schon genannt. Dagegen kämpft Arno Gruen. „Kreativität ist das Wichtige und nicht Gehorsam. Gehorsam engt uns ein“, sagt er. Er führe dazu, dass wir genauso werden, wie die, die Macht über uns haben. Und es verewige dieses System. „Das Wichtige sind die wahren Künstler, die wahren kreativen Menschen. Ihre Kreativität ist immer der Versuch, aus dem Gefängnis dieser Kulturen auszubrechen. Es ist ein dauernder Kampf, aber man muss weiterkämpfen. Es ist nicht vergeblich.“

Quelle: 3Sat | Quelldatum: 12.06.2013

In unserer Masterclass mit Dr. med. Christian Peter Dogs, Gefühle sind keine Krankheit, setzten wir uns mit diesem Thema auseinander.

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