Neuorientierung in der Lebensmitte

Krise in der Lebensmitte: Wie der Aufbruch gelingen kann

Im mittleren Alter beginnt für viele eine Zeit voller Zweifel, Sorgen und Ängste. Die Psychologin Pasqualina Perrig-Chiello erklärt in einem GEO Wissen Interview, warum die Midlife-Crisis Männer oft heftiger als Frauen trifft – und weshalb die zweite Lebenshälfte erfüllender sein kann, als viele denken.
 
Zum Originalbeitrag im Geo Wissen Magazin Nr. 62 geht es hier
 
Kernaussagen:
  • Trotz aller individuellen Unterschiede ist das mittlere Lebensalter generell eine krisenanfällige Zeit, eine beunruhigende Phase, häufig voller Selbstzweifel und Mutlosigkeit – ähnlich wie die Pubertät oder die Pensionierung, die ja ebenfalls in fast jedem Lebenslauf wichtige, oft krisenhafte Übergangsphasen sind.
  • Die meisten Fälle von Depression oder Burnout treten mit Ende 40 auf, ebenso fallen in dieses Alter die meisten Ehescheidungen. Krisen in dieser Phase können somit sehr unterschiedlich aussehen. Während die einen vielleicht in der Partnerschaft zu kämpfen haben, bahnt sich bei anderen im Beruf eine Krise an.
  • So facettenreich die Probleme auch sein mögen, eine Frage tritt oft auf: die nach dem Sinn. Welchen Sinn hat meine Arbeit? Welchen Sinn meine Beziehung? Welchen Sinn mein Leben? Hatte ein Mensch bis dahin noch eine Perspektive, ein Ziel für sein Streben, so geht es vielen von uns in der Lebensmitte oft verloren. Etliches erscheint erreicht, gewohnt, etabliert. Schmerzlich wird uns bewusst, dass wir nicht mehr alle Pläne verwirklichen können – und Angst plagt uns, das Leben nicht „gelebt“ zu haben, ein „falsches“ Leben aufgebaut zu haben.
  • Viele Menschen nehmen diese Fragen und Ängste zu wenig ernst. „Midlife-Krise“ ist für viele eher übertriebenes Gebaren als ernst zu nehmendes Problem. Doch gerade diese Fragen und Ängste sind es, die uns dann in tiefere Krisen stürzen: Manche arbeiten dann beispielsweise über das gesunde Masse hinaus, oder sie vernachlässigen den Partner oder ignorieren ihre Bedürfnisse nach Erholung.
  • Menschen, die viel Wert auf Routinen legen, die auf Sicherheit bedacht sind, die eher ängstlich und neurotisch sind sind in der Lebensmitte besonders gefährdet. Das gilt auch für Menschen, die über Veränderungsprozesse nicht reden können oder wollen.
  • Es braucht neue Perspektiven und die Erkenntnis, dass man Hilfe braucht.
  • Man muss entdecken, dass man nicht nur ein Spielball der Umstände und der eigenen Biografie ist, sondern eine Selbstverantwortlichkeit hat und die auch wahrnehmen kann.
  • Die stärkste Determinante ist die Selbstverantwortlichkeit: die Einsicht, dass man grösstenteils selbst für seinen Lebensweg verantwortlich ist – und man nicht andere oder das Schicksal dafür verantwortlich machen kann.
  • Das Aufgeben von Illusionen ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe des mittleren Lebensalters. Wer nie desillusioniert wurde, hat nie die Chance, durchzustarten und etwas Neues zu wagen. Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung hat einmal gesagt, man könne die zweite Lebenshälfte nicht nach dem Muster der ersten leben. Viele Menschen begreifen das nur durch eine Krise, die sehr schmerzhaft sein kann, aber auch heilsam.
  • Von einer Midlife-Crisis können beide Geschlechter gleichermassen betroffen sein. Doch: „Männer machen in der Regel viel kompromisslosere Schritte als Frauen, weil sie zuvor mehr verdrängt, verschwiegen und verleugnet haben“

 

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